Dirk Wiese will Mittelstandsbauch im Steuertarif abflachen – Union blockiert Reform trotz breiter Fachkritik am progressiven Verlauf.
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion intensiviert seinen Reformvorstoß für eine fairere Einkommensteuergestaltung. Wiese argumentiert in einem Stern-Interview, dass besonders Beschäftigte in Schichtarbeit der Chemie- und Automobilindustrie unter der aktuellen Tarifstruktur leiden. Seine Kernforderung zielt auf eine Verschiebung des Spitzensteuersatzes bei gleichzeitiger Entlastung kleinerer und mittlerer Gehälter. Derzeit erreichen Arbeitnehmer bereits bei 68.481 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen den 42-prozentigen Spitzensteuersatz – eine Schwelle, die viele als zu niedrig empfinden.
Fachexperten kritisieren seit Jahren den sogenannten Mittelstandsbauch im deutschen Einkommensteuertarif. Dieser bezeichnet den überproportional steilen Progressionsanstieg bei mittleren Einkommen, während die Belastung bei Spitzenverdienern flacher verläuft. Praktisch führt diese Konstruktion dazu, dass Gehaltserhöhungen im Mittelstand überdurchschnittlich stark besteuert werden. Institute wie das ifo fordern deshalb eine Progressionsabflachung, um diese steuerliche Ungerechtigkeit zu korrigieren.
Wieses Reformvorschlag stößt auf erwartbaren Widerstand der Union, die grundsätzlich Steuererhöhungen ablehnt. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte Einkommensteuer-Senkungen bereits im April unter Finanzierungsvorbehalt gestellt, was die Reformaussichten trübt. Der SPD-Politiker bleibt bei konkreten Zahlen vage und nennt weder neue Schwellenwerte noch Finanzierungsmodelle. Diese Unschärfe erschwert eine sachliche Diskussion und nährt Zweifel an der Umsetzbarkeit seiner Vorstellungen.
Wiese behauptet, seine Reform sei gegenfinanzierbar, ohne Details zu nennen. Diese Aussage wirkt vor dem Hintergrund angespannter Haushaltslagen wenig glaubwürdig. Eine Entlastung mittlerer Einkommen bei gleichzeitiger Mehrbelastung "sehr hoher Einkommen" erfordert präzise Berechnungen und realistische Einnahmeprognosen. Ohne konkrete Zahlen bleibt der Vorschlag politische Rhetorik. Für eine erfolgreiche Reform benötigt es nachvollziehbare Kalkulationen, die beiden Koalitionspartnern Kompromissmöglichkeiten eröffnen.
Steuerberater sollten Mandanten über mögliche Reformszenarien informieren, auch wenn konkrete Umsetzung ungewiss bleibt. Eine Tarifabflachung würde besonders Mittelstandsunternehmer und gut verdienende Angestellte betreffen. Unabhängig von politischen Entwicklungen verdeutlicht die Debatte strukturelle Probleme des deutschen Steuersystems, die professionelle Steuerplanung noch wichtiger machen.