Kreditrestriktionen erreichen Rekordniveau trotz EZB-Zinssenkungen

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August 28, 2025
28.08.2025
3 Minuten Lesezeit

Baker Tilly-Analyse dokumentiert verschärfte Finanzierungsbedingungen für deutsche Unternehmen – KMU-Kredithürde steigt auf historischen Höchststand von 35 Prozent.

Anhaltende Finanzierungsengpässe trotz geldpolitischer Lockerung

Deutsche Unternehmen konfrontieren persistierende Kreditbeschränkungen, obwohl die Europäische Zentralbank ihre Leitzinsen gesenkt hat. Der aktuelle Baker Tilly-Finanzierungskompass belegt, dass sich die Kreditvergabe im zweiten Quartal 2025 weiter verschärft hat, wobei kleinere und mittlere Betriebe besonders betroffen sind. Markus Paffenholz, Head of Debt Advisory bei Baker Tilly, identifiziert makroökonomische Unsicherheiten als Haupttreiber. Stockende US-EU-Zollverhandlungen und Deutschlands negative BIP-Entwicklung verstärken unternehmerische Investitionszurückhaltung und beeinträchtigen Bonitätsbewertungen der 2024er-Abschlüsse.

KMU-Segment unter verschärftem Kreditdruck

Die KfW-Ifo-Kredithürde für kleine und mittlere Unternehmen hat mit 35 Prozent einen historischen Rekordwert erreicht. Dieser Indikator misst den Anteil von Firmen, die Bankenverhalten als restriktiv bewerten. Praktisch alle Branchen verzeichnen erschwerte Finanzierungsbedingungen. Großunternehmen erfahren moderate Entspannung mit einem Rückgang auf 22 Prozent, bleiben aber überdurchschnittlich belastet. Paffenholz erklärt diese Diskrepanz mit unterschiedlichen Risikobewertungen: Kreditinstitute bevorzugen größere Firmen und ziehen sich verstärkt aus dem Mittelstandsgeschäft zurück.

Branchenspezifische Finanzierungsherausforderungen

Zyklische Sektoren leiden besonders unter restriktiver Kreditvergabe. Einzelhandel, Automotive, Genussmittel und Baubranche verzeichnen verschärfte Bedingungen. Für Bauwirtschaft und Projektentwicklung prognostiziert Paffenholz aufgrund geplanter Konjunkturprogramme eine Entspannung binnen sechs bis zwölf Monaten. Finanzierer stellen weiterhin erhöhte Anforderungen an Kredit- und Sicherheitsstrukturen, was traditionelle Finanzierungsmodelle unter Druck setzt.

Alternative Finanzierungsformen gewinnen Bedeutung

Kreditrestriktionen katalysieren die Nachfrage nach alternativen Finanzierungslösungen. Kreditfonds expandieren verstärkt in Corporate Lending und nutzen das "Window of Opportunity" durch selektive Bankenvergabe. Unternehmen diversifizieren ihre Finanzierungsinstrumente: Sale-and-Lease-back, Factoring, Sale-and-Rent-back sowie Supply-Chain-Finanzierungen generieren zusätzliche Liquidität jenseits traditioneller Bankkredite.

Zinsstruktur normalisiert sich graduell

Kurzfristige Unternehmenskreditzinsen sinken stärker als langfristige, wodurch sich die Zinsstrukturkurve linearisiert. Sechsmonatige Kredite kosten 3,31 Prozent, zehnjährige Finanzierungen 3,81 Prozent. Bis Jahresende erwarten die Analysten stabile Referenzzinsen für Investment-Grade-Unternehmen. Schwächere Bonitäten müssen mit steigenden Kreditmargen und verschärften Besicherungsanforderungen rechnen. Eine signifikante EZB-Zinssenkung gilt aufgrund hartnäckiger Kerninflation als unwahrscheinlich.

Strategische Refinanzierungsplanung erforderlich

CFOs und Treasurer sollten Refinanzierungsverhandlungen deutlich früher initiieren: Investment-Grade-Unternehmen neun bis zwölf Monate, andere Firmen 15 bis 18 Monate vor Fälligkeiten. Parallel empfiehlt Baker Tilly die Evaluierung alternativer Finanzierungsoptionen. Eine grundlegende Verbesserung erfordert makroökonomische Erholung, Zollverhandlungs-Klarheit und Ukraine-Friedensaussichten. Paffenholz prognostiziert mindestens bis Jahresende anhaltend schwierige Finanzierungsbedingungen.