Berufsrechtsreform als Antwort auf Personalkrise in der Wirtschaftsprüfung

02.06.2025
02.06.2025
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Die deutsche Wirtschaftsprüfungsbranche steht vor einem dramatischen demografischen Umbruch. Eine innovative Berufsrechtsreform soll nun Abhilfe schaffen und die schwindende Attraktivität des Berufsstands umkehren. Im Zentrum der geplanten Änderungen steht die Einführung des Syndikus-Wirtschaftsprüfers – eine Neuerung, die traditionelle Karrierewege revolutionieren könnte.

Demografische Zeitbombe tickt unaufhaltsam

Aktuelle Statistiken der Wirtschaftsprüferkammer offenbaren besorgniserregende Trends: Von 14.711 zugelassenen Wirtschaftsprüfern haben bereits 7.681 das 55. Lebensjahr überschritten. Besonders alarmierend: 1.910 Berufsträger sind bereits über 70 Jahre alt und werden zeitnah aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Während die Modularisierung des Examens die Bewerberzahlen auf knapp 2.000 anschwellen ließ, stagnieren die Erfolgsquoten seit einem Jahrzehnt zwischen 300 und 400 Absolventen jährlich. 2023 bestanden lediglich 349 Kandidaten die Prüfung – ein Wert, der den massiven Generationenwechsel nicht kompensieren kann.

Innovative Lösung durch Berufsrechtsmodernisierung

Die geplante Reform adressiert ein fundamentales Problem: Wirtschaftsprüfer, die in Unternehmen wechseln, verlieren traditionell ihren Titel oder müssen sich auf maximal fünf Jahre beurlauben lassen. „Momentan kann man sich für fünf Jahre beurlauben lassen, wenn man als Wirtschaftsprüfer zu einem Unternehmen wechselt. Nur wenn man in dieser Frist die Wiederzulassungen bei der Wirtschaftsprüferkammer beantragt, darf man den Titel wieder tragen, ohne ein neues Examen ablegen zu müssen“, erklärt Peer Henrik Decker vom Institut der Wirtschaftsprüfer die bisherige Rechtslage. Der neue Syndikus-Wirtschaftsprüfer durchbricht diese Beschränkung: Berufsträger dürfen ihre Qualifikation auch bei Industrietätigkeiten behalten, ohne Abschlussprüfungen oder gutachterliche Tätigkeiten ausführen zu können. Diese Regelung zielt primär auf Sichtbarkeitssteigerung ab.

Strategische Hoffnungen der Branchenführer

BDO-Vorstandschefin Andrea Bruckner sieht in der Reform einen entscheidenden Anreiz: " Der Anreiz steigt, das Wirtschaftsprüfer-Examen abzulegen, wenn man den Titel auch nach einem Wechsel in die Industrie weiterführen kann. Ich hoffe, dass dadurch mehr Talente das Examen ablegen wollen." Diese Einschätzung spiegelt die Hoffnung wider, dass Karriereperspektiven jenseits klassischer Prüfungsgesellschaften den Beruf attraktiver machen.

RSM Ebner Stolz, mittlerweile die Nummer fünf im deutschen Markt, betrachtet die Entwicklung differenzierter: Während direkte Auswirkungen auf Nachwuchsgewinnung als begrenzt eingeschätzt werden, könnten Mitarbeiter länger in Prüfungsgesellschaften verbleiben oder Industriewechsel gänzlich überdenken.

Erweiterte Gesellschafterstrukturen als Zusatzeffekt

Parallel zur Syndikus-Regelung öffnet die Reform Gesellschafterkreise für Nicht-Berufsträger. IT- und ESG-Experten können künftig Gesellschafteranteile erwerben – eine Erweiterung gegenüber der bisherigen Beschränkung auf Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwälte. PwC-Assurance-Leiter Dietmar Prümm unterstützt diese Modernisierung: "Der Syndikus-Wirtschaftsprüfer kann den Beruf sichtbarer machen, was dem Berufsstand langfristig helfen wird."

Gesetzgebungsverfahren und Umsetzungsperspektiven

Die Reform profitiert von einem günstigen politischen Timing: Da der Referentenentwurf bereits im April eingebracht wurde, umgeht er den Diskontinuitätsgrundsatz und kann den regulären Gesetzgebungsprozess durchlaufen. IDW-Vertreter Decker prognostiziert eine Verabschiedung noch vor der Sommerpause.

Kritische Bewertung der Reformwirkung

Skeptiker bezweifeln, ob Symbolpolitik strukturelle Probleme lösen kann. Die Reform adressiert zwar Sichtbarkeitsdefizite, lässt aber fundamentale Herausforderungen wie Arbeitsbelastung, Vergütungsstrukturen und Work-Life-Balance unberührt. Befürworter argumentieren hingegen, dass erhöhte Berufspräsenz durch etablierte Manager mit Wirtschaftsprüfer-Hintergrund eine Strahlkraft entwickeln könnte, die junge Talente anzieht. CFOs und Führungskräfte mit sichtbarer WP-Qualifikation könnten als Rollenvorbilder fungieren und die Branchenattraktivität steigern. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob diese berufsrechtliche Innovation den demografischen Wandel abfedern oder lediglich ein symbolischer Akt bleibt.