Managerhaftung: OLG Frankfurt erschüttert D&O-Versicherungsschutz bei Insolvenzverfahren

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July 15, 2025
15.07.2025
3 Minuten Lesezeit

Frankfurter Richter etablieren einen Anscheinsbeweis bei Zahlungsverbotsverstößen und gefährden eine etablierte Versicherungspraxis.

Revolutionäre Beweislastumkehr im Insolvenzrecht

Das OLG Frankfurt (Urt. v. 05.03.2025, Az. 7 U 134/23 ) transformiert die D&O-Versicherungslandschaft durch eine radikale Neuinterpretation des § 15b InsO. Die Entscheidung etabliert einen automatischen Anscheinsbeweis wissentlicher Pflichtverletzung bei verbotswidrigen Zahlungen nach Insolvenzreife. Nach etablierter Rechtsprechung erfordert der Ausschluss der Versicherungsdeckung bei "wissentlichem Abweichen vom Gesetz" substantiierten Vortrag konkreter Umstände. Das Frankfurter Gericht eliminiert diese Anforderung: Jede Zahlung bei Insolvenzreife konstituiert per se den Beweis wissentlichen Handelns.

Systematik des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots

§ 15b Abs. 1 InsO untersagt Geschäftsleitern Zahlungen aus Gesellschaftsvermögen bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Verstöße begründen Erstattungsansprüche unabhängig von Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Praktisch verfolgen Insolvenzverwalter diese Ansprüche regelmäßig über D&O-Versicherungen, da Geschäftsleiter typischerweise nicht über ausreichende Privatvermögen zur Schadenssatisfaktion verfügen. Die Entscheidung des OLG Frankfurt untergräbt diese etablierte Praxis fundamental.

Paradigmenwechsel in der Beweisführung

Die Kardinalpflichten-Rechtsprechung ermöglichte bisher Anscheinsbeweise bei substantiiertem Vortrag spezifischer Pflichtverletzungen. Das OLG Frankfurt universalisiert diesen Mechanismus: Verbotswidrige Zahlungen lösen automatisch die Vermutung wissentlichen Handelns aus. Diese Konstruktion kehrt die Beweislast um: Nicht mehr Versicherer müssen wissentliches Handeln beweisen, sondern Insolvenzverwalter müssen Unkenntnis der Insolvenzreife nachweisen - praktisch unmöglich.

Drastische Implikationen für Gläubigerschutz

Die Rechtsprechungsänderung bedroht das Gläubigerschutzsystem strukturell. Bei Versicherungsausschluss und mittellosen Geschäftsleitern entfallen wirtschaftlich verwertbare Ansprüche vollständig. §15b InsO würde zur zahnlosen Norm degradiert. Insolvenzverwalter verlieren ihr schärfstes Schwert zur Massenanreicherung, was besonders bei kleineren Insolvenzmassen existenzielle Auswirkungen auf Vergütungsstrukturen hätte.

Branchenweite Kritik und rechtspolitische Bedenken

Die Entscheidung provoziert einhellige Ablehnung aus Wissenschaft und Praxis. Kritisiert wird die unterstellte Kenntnis der Insolvenzreife ohne entsprechende Beweisführung sowie die Aushöhlung vertraglich vereinbarten Versicherungsschutzes durch Beweisregeln. Rechtspolitisch droht die Erosion des Gläubigerschutzregimes: D&O-Versicherungen wurden explizit zur Abdeckung insolvenzspezifischer Haftungsrisiken konzipiert. Diese Kernfunktion würde durch bloße Beweislastverschiebung eliminiert.

Revisionsverfahren und Praxisempfehlungen

Gegen das Urteil wurde BGH-Revision eingelegt. Die Praxis zeigt sich optimistisch bezüglich einer Kassation, zumal der BGH kürzlich D&O-Schutz bei § 64 GmbHG bestätigte. Für Praktiker ergeben sich spezifische Handlungsempfehlungen: Insolvenzverwalter sollten abwarten, Versicherer vorschnelle Deckungsablehnungen vermeiden und Geschäftsführer Dokumentations- und Beratungsintensität erhöhen.