Wirtschaftsprüfung zwischen KI-Euphorie und Implementierungsrealität

Eine aktuelle Untersuchung von PwC offenbart ein paradoxes Phänomen in der deutschen Wirtschaftsprüfungslandschaft: Während drei Viertel der befragten Unternehmen KI als zukunftsweisend für die Abschlussprüfung bewerten, nutzen nur 12 Prozent diese Technologie bereits in nennenswertem Umfang. Diese Kluft zwischen Erwartung und Realität prägt eine Branche im Wandel.
Technologieakzeptanz versus Praxiseinsatz
Die Befragung von 100 Führungskräften aus dem deutschen Finanz- und Rechnungswesen zeichnet ein widersprüchliches Bild: 75 Prozent der Teilnehmer erkennen KI-Relevanz für Abschlussprüfungen an – ein Anstieg um 13 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Mehr als drei Viertel prognostizieren "massive" Veränderungen durch KI in den kommenden Jahren. Dennoch attestieren 88 Prozent der Befragten, dass Künstliche Intelligenz ihre aktuellen Prüfprozesse gar nicht oder nur marginal beeinflusst. Diese Diskrepanz überrascht besonders, da alle großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften erhebliche KI-Investitionen kommunizieren und regelmäßigen Technologieeinsatz proklamieren.
Standardisierung contra Individualisierung
Ein struktureller Konflikt hemmt die KI-Implementierung: 30 Prozent der technologieaffinen Unternehmen präferieren marktübliche KI-Lösungen, während nur vier Prozent Eigenentwicklungen planen. Dietmar Prümm, Assurance-Leiter bei PwC Deutschland, identifiziert das Kernproblem: "Dass die Unternehmen ihre Hoffnungen in am Markt verfügbare KI-Lösungen setzen, ist verständlich. Angesichts der sehr individuellen Anforderungen, die Unternehmen und Prüfer in der Abschlussprüfung haben, lassen sich Standardlösungen allerdings nur sehr begrenzt realisieren." Diese Erkenntnis reflektiert die inhärente Komplexität des Prüfungswesens. Abschlussprüfungen erfordern maßgeschneiderte Ansätze, die standardisierte KI-Systeme derzeit nicht leisten können. Dominierend bleiben einfache Tools wie ChatGPT-ähnliche Anwendungen mit niedrigen Investitionsschwellen.
Datenschutz als Primärhürde
Regulatorische Beschränkungen erweisen sich als Haupthindernis: 86 Prozent der Befragten nennen Datenschutz als zentrales Problem für KI-Integration. Strenge Datensicherheitsanforderungen limitieren den automatisierten Zugriff auf Finanzdaten erheblich, sodass Unternehmen meist nur eingeschränkte Zugriffsrechte gewähren. Zusätzlich befürchten 63 Prozent der Studienteilnehmer Widerstand von Vorständen und Aufsichtsräten gegen KI-Investitionen, insbesondere wenn traditionelle stundenbasierte Abrechnungsmodelle durch amortisationsorientierte Preisstrukturen ersetzt werden.
Technologiestandard und Entwicklungsperspektiven
Aktuell konzentriert sich der Technologieeinsatz auf datenanalytische Instrumente für Hauptbuchkonten, Geschäftsprozesse und Nebenbücher. Die Studienautoren charakterisieren diesen Entwicklungsstand als "unterentwickelt" und betonen die Notwendigkeit intensiver Kooperation zwischen Prüfern und Mandanten für zukunftsfähige KI-Systeme. Hochkomplexe, skalierbare KI-Anwendungen, die fundamentale Automatisierung ermöglichen würden, bleiben Ausnahmeerscheinungen. Die meistgenutzten Technologien beschränken sich auf vergleichsweise simple Analysewerkzeuge.
Personalressourcen und Fachkräftemangel
Entgegen verbreiteten Erwartungen wird KI den chronischen Fachkräftemangel in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nicht lösen. Nur knapp die Hälfte der Befragten erwartet Personalreduktionen durch KI-Einsatz. Die Studienautoren prognostizieren sogar steigenden Personalbedarf: "Der Prüfaufwand wird aufgrund der enormen regulatorischen Dynamik sowie der zunehmenden Komplexität der zu beurteilenden Geschäftsmodelle weiter steigen und folglich mehr Personalressourcen erfordern." KI wird somit eher Tätigkeiten transformieren als eliminieren.
Strategische Implikationen für die Branche
Die Untersuchung verdeutlicht einen fundamentalen Transformationsprozess: Während KI-Potenziale weithin anerkannt werden, bleiben praktische Implementierungen rudimentär. Erfolgreiche Integration erfordert maßgeschneiderte Lösungen statt Standardprodukte sowie intensive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Die Zukunft der Wirtschaftsprüfung wird nicht durch KI-Revolution, sondern durch KI-Evolution geprägt – ein gradueller Wandel, der technologische Möglichkeiten mit regulatorischen Anforderungen und individuellen Bedürfnissen in Einklang bringt.