Ostdeutschland: Mehr als ein Standort im Aufwind

34 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das Bild vom „abgehängten Osten“ vielfach überholt. Trotz demografischer Herausforderungen und teils schwieriger wirtschaftlicher Ausgangslage etablieren sich ostdeutsche Bundesländer zunehmend als attraktive Wirtschaftsstandorte. Mit Innovationskraft, internationalen Investitionen und einer gezielten Nutzung ihrer Stärken erreichen sie in mehreren Bereichen sogar bessere Ergebnisse als westdeutsche Regionen.
Erneuerbare Energien als Standortvorteil
Ein erheblicher Anteil der deutschen Solar- und Windenergie stammt aus Ostdeutschland. Rund ein Viertel der nationalen Solarenergie und mehr als ein Drittel der 30.000 Windkraftanlagen stehen in den ostdeutschen Bundesländern. Laut Jörg Steinbach, Wirtschaftsminister in Brandenburg, ist diese grüne Infrastruktur ein wichtiger Standortfaktor, der ausländische Investoren anzieht. Das wachsende Interesse von Unternehmen an nachhaltiger Energieversorgung verdeutlicht die Relevanz dieser Ressource für die Region.
Ausländische Investitionen: Der Osten gewinnt an Attraktivität
Investitionen aus dem Ausland haben in den vergangenen Jahren einen deutlichen Aufwärtstrend in den ostdeutschen Bundesländern verzeichnet. Insbesondere Thüringen und Sachsen konnten zwischen 2013 und 2023 ein Wachstum von 25 Prozent bei ausländischen Investitionen verbuchen. Große Projekte wie die Ansiedlung des taiwanesischen Chipherstellers TSMC in Dresden und das Tesla-Werk in Brandenburg wirken hier als „Gamechanger“. Diese Entwicklungen steigern das Bruttoinlandsprodukt und schaffen neue Arbeitsplätze in der Region.
Frauenerwerbsarbeit: Ein Plus gegen den Fachkräftemangel
Ein hoher Anteil an Frauenerwerbstätigkeit unterscheidet den Osten deutlich vom Westen. Während in Westdeutschland nur ein Drittel der Mütter in Vollzeit arbeitet, sind es in Ostdeutschland fast 53 Prozent. Diese Erwerbsbeteiligung hilft, den zunehmenden Fachkräftemangel in vielen Branchen abzumildern. Für Unternehmen bedeutet das eine verlässlichere Personalplanung und höhere Produktivität.
Frühe und umfangreiche Kinderbetreuung
In Ostdeutschland profitieren Familien von einer höheren Verfügbarkeit an Kinderbetreuungseinrichtungen. Etwa 55 Prozent der Kinder unter drei Jahren besuchen hier eine institutionelle Betreuung, im Westen sind es nur rund 34 Prozent. Zudem sind Ganztagsbetreuungen im Osten deutlich verbreiteter. Diese familienfreundlichen Rahmenbedingungen unterstützen die Berufstätigkeit junger Eltern und machen die Region als Wohnort attraktiver.
Hochschulen als Innovationsmotor
Ostdeutsche Hochschulen, insbesondere in Sachsen und Thüringen, gehören zu den innovativsten Bildungseinrichtungen in Deutschland. Mit mehr als fünf Patentanmeldungen pro 1.000 Studierende liegen sie weit über dem Bundesdurchschnitt von zwei. Diese Innovationskraft zeigt sich besonders in forschungsintensiven Branchen, die zunehmend auf die enge Kooperation mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen setzen.
Herausforderungen und Potenziale
Trotz der positiven Entwicklungen bleibt die Demografie eine große Herausforderung für Ostdeutschland. Besonders in ländlichen Regionen mangelt es an schnellem Internet, gutem Nahverkehr und ausreichenden Bildungsangeboten. IW-Experte Klaus-Heiner Röhl betont die Notwendigkeit dieser Infrastruktur, um die Region langfristig attraktiv zu halten und weitere Zuwanderung zu ermöglichen.
Fazit: Der Osten holt auf
Ostdeutschland zeigt, dass es möglich ist, durch gezielte Förderung und Nutzung regionaler Stärken wirtschaftlich aufzuholen. Mit einer stark ausgebauten Infrastruktur für erneuerbare Energien, einer hohen Frauenerwerbsquote und einem innovativen Hochschulsektor ist die Region gut aufgestellt, um ihre wirtschaftliche Bedeutung in Deutschland weiter auszubauen. Die Herausforderungen sind zwar nicht gering, doch die Entwicklung deutet darauf hin, dass der Osten längst kein abgehängter Standort mehr ist, sondern eine Region mit wachsender Dynamik und Potenzial.